Die Entwicklung des
Capital Asset Pricing Model
(CAPM, Modell der Wertpapierlinie) in seinen Grundzügen
wird getragen von dem hohen Verdienst dreier hervorragender Gelehrter:
William F. Sharpe, John Lintner
und Jan Mossin, die in den 60er Jahren des verflossenen Jahrhunderts
zwar getrennt, aber fast gleichzeitig zu ihr den Anstoß gaben*
und sich damit einen bleibenden Namen erworben haben. Aus reinwissenschaftlicher
Sicht lässt sich das aufgeführte Modell einweisen in die Reihe der sogenannten
Kapitalmarktgleichgewichtsmodelle der nachklassischen ("neoklassischen")
Finanzierungstheorie.
Das CAPM baut auf der Theorie der Wertpapiermischung
(Portfoliotheorie von 1952, die zu ihrem
Begründer den scharfsinnigen amerikanischen Wirtschaftswissenschafter
und Träger des Wirtschaftspreises Harry M. Markowitz hat) auf
und erweitert es um die Frage nach dem entscheidenden Risikomaß für
einzelne Anlagemöglichkeiten im Rahmen eines vollständig diversifizierten
Portefeuilles. Mit der Fragebeantwortung versucht es eine Erklärung
dafür zu leisten, wie risikobehaftete Anlagegelegenheiten auf dem Kapitalmarkt
beurteilt werden. Über sein Kernmodell, dem Modell der Wertpapierlinie,
macht das CAPM eine statistisch-rechnerisch positive, lineare Abhängigkeit
der zu erwartenden Rendite einer Kapitalanlage von nur einer Risikoeinflussgröße
geltend (Ein-Faktor-Modell): dem am Kapitalmarkt maßgebenden Risiko.
Die Endabsicht des CAPM ist es, Konkurrenzgleichgewichtskurse (bzw.
die davon hergeholten Renditen) für einzelne gewagte Investitions- oder
Finanzierungsvorhaben (im Folgenden vereinfachend Wertpapiere
genannt) im Portfolio- und Kapitalmarktzusammenhang unter dem Eindruck
der Ungewissheit herzuleiten.
[* Vgl. die epochemachenden
Leitaufsätze von William F. Sharpe: "Capital Asset Prices: A
Theory of Market Equilibrium under Conditions of Risk." The Journal
of Finance 19, 1964, S. 425 – 442., John Lintner: "Security Prices,
Risk and Maximal Gains from Diversification." The Journal of Finance
20, 1965, S. 587 ff. und von Jan Mossin: "Equilibrium in a Capital
Asset Market." Econometrica, Vol. 34 (1966), S. 768 – 783.]
Modellprämissen
Das Capital
Asset Pricing Model in seiner ursprünglichen Fassung geht – der
Portfoliotheorie gleich – zu allem Anfang von folgenden fertig gegebenen
Voraussetzungen aus: Risikoaversion, beliebige Teilbarkeit der Wertpapiere,
einperiodiger Planungszeitraum. Hinzu treten aus methodologischen Gründen
arg vereinfachende Annahmen über die Natur des Kapitalmarktes und dem
Verhalten der Marktteilnehmer. Insbesondere wird unterstellt, dass
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der
(einzige, allumfassende) Kapitalmarkt sich in einem Konkurrenzgleichgewichtszustand
befinde: Der Markt befinde sich in einem Ruhezustand, unter dem
niemand Anlass hat, sein Wertpapierportfolio umzuschichten. Die
Zahl der Wertpapiere ist fest vorgegeben und sämtliche der Papiere
werden gehalten.
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Des Weiteren herrsche eine einheitliche Marktrate des Zinses Rf,
zu der unbeschränkt finanzielle Mittel angelegt und Kredite aufgenommen
werden können ("pure rate"). Der Marktzinssatz Rf
möge in seiner Höhe unter dem Erwartungswert der Rendite
E(Rm) des riskanten,
risikoeffizienten Markportfolios M belegen sein. Die Vorhandensein
eines risikoeffizienten Marktportfolios seinerseits setzt wiederum
unabdingbar informationseffiziente Kapitalmärkte im Verstand
der Theorie voraus.
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Von
allen Marktteilnehmern sei angenommen, dass sie streng-rationale
Entscheidungen gemäß dem Bernoulli-Prinzip träfen, sie zudem die
gleichen Erwartungen über künftige mögliche Renditen, Risiken und
Kovarianzen der zur Auswahl vorliegenden Wertpapiergattungen hegten
(homogene Erwartungen). Kein einziger der Markteilnehmer
sei mächtig genug, diese Größen aus Eigenem zu verändern ("price
taker"). Alle Markbeteiligte gelten für risikoavers im Sinne
der Portfoliotheorie. Ihre Bestrebungen richten sich allein und
ausschließlich darauf, den Risiko- und Konsumnutzen ihres Vermögens
zum Ende der Planperiode bis zum Höchstmaß zu steigern.
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Der
Kapitalmarkt sei frei von Friktionen. Es gebe also weder Handelskosten
(Transaktionskosten),
wie es etwa Geld- zu Briefspannen oder Kosten für den Marktzutritt
sind, noch Steuern, und es bestünden fernerhin bei vollkommener
Markttransparenz keine personellen, sachlichen oder sonstigen Präferenzen
im Umgang mit anderen Marktbeteiligten. Es herrscht mithin ein vollkommener
Wettbewerb und eine vollkommene Freizügigkeit des Kapitals ("Annahme
vollkommener Märkte").
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Modellkern
Aus
dem vorstehenden Bündel von Annahmen folgt, dass alle Kapitalanleger
ohne Unterschied ihres eigenen Grades der Risikoscheu ein in ganz der
gleichen Weise zusammengesetztes risikobehaftetes Wertpapierportfolio
halten, das auf der Grundlage der Portfoliotheorie von Markowitz
gebildet wurde ("Tobin-Separation"). Dieses Portfolio trägt den
Namen Marktportfolio M. In jenem Marktportfolio M sind sämtliche
der auf dem Kapitalmarkt begebenen Wertpapiere enthalten, gewichtetet
im Verhältnis ihrer jeweiligen Marktwerte. Im μ/σ-Diagramm (vgl. das
Achsenkreuz des folgenden Schaubilds) vertritt das Tangentialportefeuille
auf der vom Sicherheitszins Rf ("pure rate") ausgehenden
Tangente an den Berührungspunkt der Effizienzlinie riskanter Wertpapiere
("efficient frontier") das Marktportfolio M. Das Tangentialportefeuille
M ist damit zugleich das einzige Portefeuille auf der Effizienzlinie,
dessen Bestand höherwertige Aufstellungen ausschließt. Je nach Ausmaß
seiner Risikoaversion wird der vernünftig Entscheidende in einem nächsten
Schritt seine persönlich bevorzugte ("nutzenmaximale") Stellung auf
der Kapitalmarktlinie einnehmen. Mit Ausschluss der Position der jeden
Verlust Scheuenden, die ihre Mittel allein und ausschließlich zum Satz
von Rf unterbringen, wird nach Maßgabe des Grades der persönlichen
Risikoscheu jede auf der Linie gelegene Position in ihrem optimalen
Mischungsverhältnis eine Kombination sein aus einem ihr entsprechenden
Anteil des Marktportfolios M und – bis auf die Position des Marktportfolios
selbst – einem korrespondierenden Anteil der risikolosen Veranlagung
zum Zinssatz Rf.
Der Aufbau des in jeder risikoeffizienten Mischung enthaltenen Marktportefeuilles
M selbst ist als solcher immerzu einheitlich. (Siehe auch noch:
Erweiterung des Modells der Portfoliotheorie um eine
sichere
Anlagemöglichkeit und Tobin-Separation.)

Abbildung: Kapitalmarktlinie
Sind
nun die erwarteten Kursänderungsraten und Risiken der einzelnen Wertpapiere,
wie angenommen, bekannt, so lässt sich auf einfache Weise auch die erwartete
Rendite E(Rm) und
das durch seine
Standardabweichung
ausgedrückte Risiko des Marktportfolios σm ausrechnen. Da
Kapitalanlageentscheidungen in vielen Fällen zugleich eine wichtige
Determinante der Finanzierungsmöglichkeiten von Unternehmungen bilden,
wird die von Investoren erwartete Rendite des Marktportfolios
E(Rm) in der Kapitalmarkttheorie
aus individualwirtschaftlicher Sicht als "Kapitalkosten unter Ungewissheit"
bezeichnet. Demnach ist unter den "Kapitalkosten unter Ungewissheit"
stets eine prozentuale Größe und kein absoluter Kostenbetrag
gemeint. "Kapitalkosten unter Ungewissheit" vergönnen es einer Unternehmung,
im Kapitalmarktgleichgewicht rationale Investitionsentscheidungen zu
treffen, ohne gleichzeitig vor die Notwendigkeit gestellt zu sein, zu
diesem Zweck ("simultan") eine detaillierte Finanzierungsplanung aufzustellen.
Vielmehr vertreten die "Kapitalkosten unter Ungewissheit" bereits maßgebend
den verlangten Kalkulationszinssatz. Dem Leitbild der Trennbarkeit gegenseitiger
Abhängigkeiten über Märkte entsprechend lassen sich auf diese Weise
losgelöst von den ansonsten obligatorischen Finanzierungskalkülen (und
damit implizit auch unabhängig von den persönlichen Konsumpräferenzen
des Disponierenden oder der Kapitalgeber) widerspruchsfreie Investitionsentscheidungen
treffen ("Fisher-Separation"*). Die Zerlegung von Investitionsentscheidungen
in jeweils delegierbare Einzelentscheidungen wird dadurch – unter Wahrung
der Interessen aller Marktbeteiligten – in Unternehmungen ebenso
wie am Kapitalmarkt überhaupt erst ermöglicht.
[* Man vergl. hierzu
Fisher, Irving: "The Theory of Interest". New York 1930, S. 253
– 275.]
Um unter den vorstehenden
Modellannahmen in einer sonst institutionslosen
Modellwelt eines Kapitalmarktes auf mathematisch-statistischem Wege
den Kurs eines einzelnen im Marktportefeuille enthaltenen Wertpapiers
im Kapitalmarktgleichgewicht herzuleiten, ist vorab folgende Sprachregelung
zu treffen:
Der
Unterschied im Zifferwert zwischen der erwarteten Rendite des Marktportfolios
E(Rm) (= "Kapitalkosten
unter Ungewissheit") und dem sicheren Zinssatz Rf wird als
"Marktpreis für das Risiko" benannt. Die Risikomenge eines
jeden Wertpapiers in einem wohl diversifizierten Portfolio wird durch
Beta (ß) bezeichnet. Das Risiko des
Marktportfolios M selbst wird auf 1 fest normiert, so dass ßM
= 1. Der ß-Faktor eines individuellen Wertpapiers i, βi,
sei definiert als der Quotient aus der Division der statistischen Kovarianz
der Renditen zwischen dem betreffenden Wertpapier i und dem Marktportfolio
M, (σim) durch die Varianz der Renditen des Markt-Portfolios
M, (σ²m). Oder förmlich ausgedrückt, kurz:
βi = σim / σ²m
.
Der Beta-Faktor bezieht
sich im Portfoliozusammenhang ausdrücklich auf das nicht weiter beschneidbare
Risiko (das sogenannte systematische Risiko) und steht damit
zugleich für den maßgebenden Beitrag zum Portfolio-Risiko.
Nach einer sich hieran schließenden formallogischen
mathematisch-statistischen Optimumsbestimmung erhält man im Ergebnis
nun die zentrale Aussage des CAPM:
Die erwartete Rendite E(Ri)
eines risikotragenden Investitionsobjekts i (wie es z.
B. eine Aktie i ist) setzt sich im Marktgleichgewicht zusammen
aus dem für finanziell risikolose Mittelanlagen geltenden Zinssatz Rf
und einer Risikoprämie. Die Risikoprämie ist das Produkt aus dem Marktpreis
für das Risiko und der Risikomenge des betrachteten Investitionsobjektes
i, die in dem Faktor ßi ihr Maß findet. Die formale Darstellung
des CAPM als Renditegleichung ergibt den folgenden Ausdruck:
E(Ri) = Rf
+ [E(Rm) – Rf]
· βi .
Der vorstehende Ausdruck – der sich aus dem Modell der Wertpapierlinie
("security market line") herleitet – bildet die Kernaussage und
den Fundamentalsatz des CAPM, der besagt:
Allein und ausschließlich der Beta-Faktor
β ist das Risikomaß von wirklichem Belang für einzelne, getrennt zu
beurteilende Wertpapiere im Rahmen eines vollständig diversifizierten
Portefeuilles. Demgemäß hebt sich die zu erwartende Rendite E(Ri)
eines Wertpapiers i gleichmäßig in dem Grad, als sein Beta-Faktor im
Werte wächst; und umgekehrt. Daraus aber folgt:
Risikoaverse Investoren sind dann und nur dann bereit, ein Wertpapier
i mit einem hohen Risiko ßi zu halten, wenn der Markt dafür
zugleich eine angemessene Rendite in Aussicht stellt.
Unter der gesetzten Annahme
einer einperiodigen Planung lässt sich die berechnete Rendite für jedes
der in Betracht gezogenen Wertpapiere mit Leichtigkeit in einen Gleichgewichtskurs
überführen. Der Gleichgewichtskurs bzw. die Gleichgewichtsrendite dient
in diesem vereinfachten Erklärungsmodell der Marktpreisbildung als Maßstab
dafür, ob und wie weit der Wert des untersuchten Wertpapier(portfolio)s
unter dem Einfluss des Marktprozesses im Einklang mit seinem Risiko
steht, wobei wiederum von einer geradlinigen (linearen) Abhängigkeit
zur Wertentwicklung des risikoeffizienten Marktportfolios ausgegangen
wird.
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Kritische Würdigung des Capital Asset-Pricing-Modells
(CAPM)
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Das CAPM wurde in den
70er und 80er Jahren des letztvergangenen Jahrhunderts durch das Erscheinen
einer ganzen Reihe theoretischer Abhandlungen weiterentwickelt und verfeinert.*
So wurde insbesondere geprüft, bis zu welchem Grad die Kernaussage des
rühmlich bekannten CAPM aufrechtzuerhalten sei, wenn einzelne der offenkundig
wirklichkeitsferneren Annahmen der verwickelten Welt des Wirtschaftslebens
allmählich nähergerückt oder solche ganz aufgehoben werden. Es stellte
sich heraus, dass auch unter weniger stringenten Annahmen das Modellergebnis
ungeschwächt Bestand behaupten konnte. Dies überrascht nicht im Mindesten,
da ja die aus Modellen abgeleiteten förmlichen Gesetzesaussagen (Implikationen)
zwangsläufig logisch wahr sein müssen, sofern ein Versehen eines innerhalb
des Modells liegenden logischen Denkfehlers nicht begangen wird. Nur
darf es nicht aus sich heraus mit dem Anspruch vorgetragen werden, dass
es die empirische Wirklichkeit der Kapitalmärkte abschließend zu erklären
vermag. Eines selbständigen empirischen Erweises entzieht sich das CAPM
allein schon deshalb, weil die Ansetzung nicht realitätskonformer Modellannahmen
sich durch das wirkliche Geschehen auf den Kapitalmärkten begreiflicherweise
durch nichts beglaubigen lässt. So lässt sich etwa das Marktportfolio
aller Vermögenswerte nicht mit untadeliger Genauigkeit nachschaffen.
Überdies vermag das CAPM unter den argen Modellvereinfachungen die Börsenkurse
der Wirklichkeit deshalb nicht treffend erklärlich zu machen, weil sich
unter den schwierigen Verhältnissen wahrhaftiger Kapitalmärkte schwerlich
der Zustand eines Gleichgewichts unter Ungewissheit voraussetzen lässt.
Seine Leistung besteht nebst der Gedankenschulung vielmehr darin, dass
es innerhalb eines allgemeinen theoretischen Bedingungsrahmens die logischen
Existenzgründe aufzuzeigen vermag, unter denen sich Investitionsentscheidungen
in Unternehmungen trennen lassen von den Finanzierungs- bzw. Konsumentscheidungen
der Kapitaleigner.
[* Hier verdient
vor allen Stephen A. Ross mit seiner im Jahre 1976 verdienstlichen
Arbeit: "The arbitrage theory of capital asset pricing" in Journal of
Economic Theory 13 (3): S. 341–360, auszeichnende Erwähnung.]
Gangbar erscheint hingegen
der Weg, aus den Modellergebnissen des CAPM mit den wirklichen Kapitalmärkten
zusammenstimmende Hypothesen zu bilden. Diese lassen sich daraufhin
der Reihe nach an typischen Fällen der tatsächlichen Erfahrungswelt
auf die Probe stellen und – wenigstens im Groben und vorläufig – bestätigen
oder widerlegen. In einem Ansatz solcher Art, mit der Absicht, Einsichten
in nicht gleich offenkundige Zusammenhänge der Wirklichkeit zu gewinnen,
liegt in letzter Linie der Erklärungszweck und der Erkenntniswert des
CAPM.
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